Jakob Ozols / Volker Thewalt

Hrsg.

Aus dem Osten des Alexanderreichs

Völker und Kulturen zwischen Orient und Okzident
Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien

Festschrift für Klaus Fischer

DuMont Buchverlag Köln 1984

ISBN 3-7701-1571-6
First Electronic Reprint 1997 © Volker Thewalt
pp. 204-218

Pferdedarstellungen in Felszeichnungen am oberen Indus[*]

Volker Thewalt

Unter den Felszeichnungen am oberen Indus (Abb. 1, 2), von denen einige wenige schon von Ghulam Muhammad [fn1], Sir Aurel Stein [fn2] und Cuthbert King [fn3] bekanntgemacht wurden und die seit 1979 Gegenstand einer breit angelegten Dokumentation sind, finden sich in großer Zahl Abbildungen von Pferden und Reitern. Auch einzelne Wagendarstellungen sind entdeckt worden [fn4]. In sehr viel größerer Anzahl jedoch haben wir Abbildungen von Reitern oder auch von reiterlosen Pferden gefunden, und dies entspricht auch der tatsächlichen Bedeutung des Pferdes als Reittier in dieser unwegsamen Berggegend, die für die Benutzung des Wagens sehr wenig geeignet ist [fn5]. Pferde und Reiter werden hingegen schon von Hiuen Tsang am Anfang des 7. Jhs. erwähnt [fn6], und die »Rajatarangini« berichtet von den Raubzügen der berittenen Darden [fn7].

Wenngleich erst ein geringer Teil der geplanten Dokumentation der Felsbilder und Inschriften am Indus durchgeführt ist, will ich hier versuchen, einen vorläufigen Eindruck von der Vielfalt der Reiter- und Pferdedarstellungen zu geben. Einige der ältesten Pferdezeichnungen hat Jettmar in Thalpan am Altarfelsen und in der Station Chilas II gefunden; diese Zeichnungen weisen Besonderheiten auf, die er als »achämenoid« bezeichnet hat, nämlich deutliche Betonung der Schenkel und der Gelenke durch Komma-förmige Aussparungen in der ausgepunzten Fläche. Jettmar hat vermutet, daß bestimmte Traditionen der Achämenidenzeit hier im Gebiet von Chilas über mehrere Jahrhunderte hinweg bewahrt wurden [fn8]. Die Zeichnung eines Pferdes aus Thor-Nordseite (Abb. 3) hält er allerdings für jünger; dafür spricht, daß diese Zeichnung zusammen mit sogdischen Inschriften auf einem Felsen angebracht ist (die aber, nach der Patinierung zu urteilen, ihrerseits ein wenig jünger als die Pferdedarstellung sind) und daß der Kanon der übrigen bisher entdeckten »achämenoiden« Zeichnungen nicht streng eingehalten ist. Besonders beachtenswert an dieser Zeichnung eines nach links schreitenden Pferdes ist der prächtige Kamm der Stehmähne sowie die Betonung des Schenkels in der erwähnten Weise. Der Schweif endet in einem dreizipfligen Quast [fn9]. Über dem Rücken des Pferdes ist eine Schleife oder ein Kreis wiedergegeben; darin befindet sich ein Punkt. Auf eben diese Art ist in den Felszeichnungen von Hunza-Haldeikish häufig die besondere Bedeutung einer Tierdarstellung herausgehoben – dort allerdings zumeist bei Steinböcken. Aber auch ein Fabelwesen vom Altarfelsen in Thalpan Bridge und einige weitere, noch nicht publizierte Tierdarstellungen aus Chilas V und aus Minergah weisen diese Besonderheit auf [fn10]. Wenn auch die Datierung dieser und weiterer >achämenoider< Zeichnungen noch keineswegs endgültig gesichert ist, so darf man sie doch zum älteren Bestand der Felsbilder zählen.

Aus Chilas II, direkt am Indus gelegen, stammen drei Szenen, die vermutlich die Verehrung von Stupas durch Reiter wiedergeben. Abbildung 4 zeigt zwei Stupas und zwei Krieger, die von ihren Pferden abgesessen sind [fn11]. Einer der Krieger führt sein Pferd und trägt dabei eine kurze Lanze in der Hand, der andere hät einen Bogen. Die Pferde stehen fest auf dem Boden, eine Bewegung ist nicht angedeutet; ihre Körper sind völlig ausgefüllt wiedergegeben, während die Gesatlten der Krieger Aussparungen aufweisen, um Einzelheiten in Kleidung und Kopfbedeckung anzudeuten. Die beiden Stupas, die zu der abgebildeten Szene gehören, sind von höchst einfachem Ausbau: Über einem vermutlich runden Unterbau erheben sich Anda und jeweils ein Ehrenschirm; sie gehören zu den ältesten Stupa-Formen unter den Felsbildern am Indus, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe [fn12].

Eine sehr ähnliche Szene ist in Abbildung 5 wiedergegeben. Unterhalb eines Stupa und einer prächtig geschmückten Säle sind drei Reiter sowie ein weiteres Pferd und ein Buckelrind abgebildet [fn13]. Der Stupa in dieser Felszeichnung zeigt gegenüber dem vorangehenden schon eine erweiterte Form: Eine Treppe, die wie eine Leiter wiedergegeben ist, führt zu einem Eingangstor mit dreieckigem Giebel [fn14], das den Weg freigibt zum Pradaksinapatha. Dieser ist gekennzeichnet durch die einfache Nachbildung eines Zaunes am zweiten Geschoß des Unterbaues. Der Stupa und die links davon plazierte Säle, welche ein Triratna trägt, sind mit Girlanden und wehenden Fahnen geschmückt. Ein wenig ungelenkt hat man die Reiter und die Tiere rechts unterhalb der beiden Bauwerke als Silhouetten wiedergegeben. Die Figuren wurden in der ganzen Fläche gleichmäszlig;ig ausgepunzt; die Körper der Reiter auf ihren Pferden sind sehr einfach abgebildet, bei einigen sieht man unter den Pferdeleibern die herabhängenden Beine der Reiter angedeutet – eine Darstellungsform, die sich auch später vielfach findet (vgl. Abb. 12, 14, 15, 16). Die Rolle des Buckelrindes in dieser Szene ist nicht klar, es gibt jedoch eine ganze Reihe weiterer, zumeist allerdings isolierter Darstellungen solcher Rinder, die vermutlich nicht in den Berggebieten heimisch waren, sondern von Zuwanderern aus dem Süden eingeführt worden sind [fn15]. Einige wenige der zugehörigen Kharoshthi-Inschriften sind in die Umzeichnung mit aufgenommen sowie ein kleines Bauwerk, das einen Votiv-Stupa wiedergeben könnte.

Auch die dritte Szene aus Chilas II (Abb. 6) läßt sich als Verehrung eines Stupa durch Krieger erklären. Neben und unter einem sorgfältig gezeichneten Stupa sind fünf Reiter mit ihren Pferden abgebildet [fn16]. Die Soldaten sind in gleicher Weise dargestellt, wie dies schon bei Abbildung 4 geschildert wurde: Gesichter und Körper weisen zum Teil Aussparungen auf, die die Kopfbedeckung und Kleidung andeuten. Bei einem der Krieger sind deutlich der überfallende Mantel und das Schwert an der Hüfte zu erkennen. Zwei andere sitzen auf ihren Tieren, einer von ihnen schwingt seine Lanze wie zum Angriff. Auch bei der Wiedergabe der Pferde finden sich in dieser Zeichnung einige Aussparungen, etwa um die Mähnen zu bezeichnen. Die Beine der beiden unteren Pferde sind ein wenig angewinkelt und scheinen damit Bewegung wiederzugeben. Der Stupa ruht auf zwei Untergeschossen, die offenbar mit einer Pilastergliederung verziert sind; beide Plattformen sind eingefaßt von Zaunnachbildungen; eine Treppe, vereinfacht wie eine Leiter dargestellt, führt zur Plattform des unteren Geschosses; das Anda ist mit einer Girlande verziert, darüber erheben sich die Harmika und drei Ehrenschirme. Die unmittelbar bei den geschilderten Szenen angebrachten Kharoshthi-Inschriften sowie der Aufbau der Stupas, die sehr den frühen monumentalen Bauten in Gandhara und in Zentralindien ähneln, machen eine Entstehung dieser drei Zeichnungen (Abb. 4 , 5 , 6) aus Chilas II im 1. Jh. n. Chr. sehr wahrscheinlich. Derartige Abbildungen von Stupas, die von Reiterkriegern besucht werden, finden sich unter den späteren Zeichnungen nicht mehr.

Während die bisher behandelten Felszeichnungen sämtlich mit einem Steinwerkzeug hergestellt wurden und handwerklich zum Teil recht einfach sind, zeigt die Abbildung eines gezäumten und gesattelten Pferdes vom Altarfelsen in Thalpan Bridge (Abb. 7Farbbild [231 KB] ergänzt 24.6.2000) große Kunstfertigkeit im Entwurf wie in der Ausführung der Zeichnung mit einem scharfen Metallmeißel [fn17]. Die Zeichnung mißt nur 31,5 cm in der Breite und 25,5 cm in der Höhe und ist sehr präzise ausgeführt – nach der Vorlage in einem Musterbuch, wie Jettmar annimmt. Das Pferd schreitet feierlich nach links, das linke Vorderbein ist angewinkelt leicht erhoben. Merkwürdigerweise wird das rechte Hinterbein in ähnlicher Pose wiedergegeben. Der Sattel ist mit einem kräftigen Gurt über der Satteldecke befestigt. Zwei weitere Gurte dienen zur zusätzlichen Befestigung von Sattel und Decke; der eine läuft vorne um die Brust des Tieres, der andere hinten unter dem geflochtenen Schweif herum. Medaillons schmücken die Satteldecke am vorderen Teil des umlaufenden breiten Saumes. Besonders auffällig ist bei dieser Zeichnung die Form der Zäumung: Ein Cavesson, eine Art Kappzaum, umfaßt Nase und Maul des Pferdes, die Nüstern bleiben dabei frei; die Zügel hängen vom Nacken des Tieres.

Diese Form der Zäumung findet sich auf sasanidischen Jagdschalen [fn18], in sogdischen Wandmalereien [fn19] und später in leicht abgewandelter Form in den Wandbildern des Sumtsek von Alchi (Ladakh) [fn20]. Steigbügel sind nicht abgebildet [fn21]. Die Wiedergabe der Mähne mit dem schmalen Kamm über den herabhängenden langen Haaren ähnelt derjenigen der sasanidischen Schalen; bei den Darstellungen der sogdischen Wandbilder findet sich zwar auch ein solcher schmaler Kamm, jedoch hängen die Haare zumeist auf der dem Betrachter abgewandten Seite und fallen tief unten im Nacken erst in großem Schwung zurück auf die Vorderseite [fn22]. Wie gesagt, muß die Zeichnung mit einem spitzen Metallmeißel hergestellt sein, das zeigen die scharfkantigen Linien [fn23]. Die sekundäre Patinierung der Zeichnung ist stark im Verhältnis zu der an dieser Stelle des Steins nicht besonders dunklen »Original«-Patina. Was die Gangart des abgebildeten Pferdes betrifft, so könnte der Paß- oder Töltgang gemeint sein, da möglicherweise beide Beine der rechten Seite angehoben sind. Wenn man das rechte Hinterbein als nur angewinkelt auf dem Boden stehend annimmt, kann man mit Fischer auch [fn24] an eine Darstellung der feierlichen Passage oder Piaffe denken. Stacul hat bei einem Fragment aus dem Swat, das den Vorderleib und ein abgewinkeltes Bein möglicherweise eines Pferdes zeigt, an den Galopp gedacht [fn25] – auf unsere Zeichnung kann dies jedoch nicht zutreffen.

Nicht weniger fein und sorgfältig gezeichnet und weitgehend mit einem Metallgerät hergestellt ist eine weitere Pferdezeichnung, die gleichfalls in Thalpan Bridge gefunden wurde nur wenige hundert Meter von der gerade beschriebenen entfernt (Abb. 8, -->Farbbild [144 KB])[fn26]. Das Tier ist in der gleichen Pose wiedergegeben, wobei der Kopf näher an den Hals herangenommen ist. Das Cavesson ist auch hier deutlich gezeichnet, der Sattel fehlt jedoch. Während der Umriß des Pferdekörpers mit einem Metallmeißel gearbeitet ist, sind die Mähne und einige weitere Schattierungen des Körpers mit einem Stein punziert worden.

Eine andere Zeichnung (Abb. 9) aus der Station Thalpan Ziyarat greift das Motiv des nach links schreitenden Pferdes auf und gibt das Tier in genau der gleichen Körperhaltung wieder. Der Kopf ist ein wenig vorgestreckt, und das rechte Vorderbein ist sehr stark angehoben; im übrigen aber entspricht die Haltung exakt jener der in Abbildung 7 und 8 gezeigten Pferde. Die Zeichnung ist nicht mit einem Metallmeißel gearbeitet, sondern mit einem Stein gepunzt; die Mähne und zum Teil auch die Beine sind durch Entfernung des Wüstenlacks hell vom Körper des Tieres abgehoben; rechts ist später eine unklare Kritzelei angefügt worden.

Eine ungelenke Nachahmung der beiden besprochenen Pferdezeichnungen aus Thalpan Bridge ist am östlichen Rand derselben Station aufgefunden worden (Abb. 10). Die Haltung des Tieres wiederholt die bekannte Pose, die Abbildung ist jedoch nur in Teilen anatomisch korrekt den Vorbildern nachempfunden. Auch hier wurde die Zeichnung mit einem Steinwerkzeug in die dunkle Patina gepunzt. Bemerkenswert ist das Mal auf dem Hinterschenkel des Pferdes. Ein Brandzeichen als Eigentumsmarkierung könnte hier gemeint sein, aber auch ein auffälliges Signum, das die – vielleicht religiöse – Bedeutung eines solchen reiterlosen Pferdes betonen sollte.

Damit stellt sich die Frage nach der Bedeutung solcher Zeichnungen von »reiterlosen« Pferden, die in ihren präzis gemeißelten Ausführungen gezäumt und gesattelt abgebildet sind, während diese Details bei den handwerklich einfacheren Nachahmungen fehlen – vielleicht aus technischen Gründen. Jettmar berichtet von einer Mythe im nahegelegenen Gor, die schon von Biddulph erwähnt wurde [fn27] und die er noch selbst gehört hat [fn28]: »,In Gor verehrte man einen männlichen Gott Taiban, als sein Symbol galt ein Pferd. Nach Auskünften, die ich erhielt, erscheint er selbst in Pferdegestalt.« Die vorislamische Glaubenswelt kannte also Gottheiten, die mit Pferden identifiziert wurden [fn29]. Man kann auch daran denken, daß der göttliche Reiter, den selbst darzustellen man nicht wagte, durch sein Reittier symbolisiert wurde [fn30].

Fischer hat im Zusammenhang mit dem Lieblingspferd des Prinzen Gautama, dem Hengst Kanthaka, eine weitere Bedeutung des reiterlosen Pferdes aus dem buddhistischen Vorstellungsbereich erläutert und dargestellt; danach kann das gesattelte, aber reiterlose Pferd als Symbol für den Tod des Reiters stehen [fn31]. Tatsächlich wurde der Auszug in die Heimatlosigkeit, die Weltflucht des Prinzen Gautama, als Tod, als Ende des weltlichen Lebens aufgefaßt. Und so könnten die reiterlosen Pferde in den Felszeichnungen von Thalpan symbolisch die Trennung des Gautama von der Welt und damit den Erleuchteten, den Buddha selbst darstellen. Aber es gibt noch weitere Möglichkeiten, die Pferdezeichnungen zu interpretieren. So kann man an das Valahassa-Jataka denken, in dem der Bodhisattva in Gestalt eines weißen Pferdes gestrandete Seeleute vor menschenfressenden Dämoninnen rettet [fn32]. Weiter ist zu erwähnen die Darstellung eines reiterlosen, ungesattelten Pferdes, das in einem Wandbild aus Khotan [fn33] im sogenannten fliegenden Galopp auf der Brust eines Bodhisattva [fn34] abgebildet ist.

Ob eine der genannten Möglichkeiten auf unsere Felszeichnungen zutrifft, muß vorläufig offen bleiben – leider sind keine Inschriften direkt mit den Bildern verbunden.

Sehr viel einfachere Zeichnungen von Pferden und Reitern wurden zeitlich parallel mit den vorgestellten qualitätvollen Bildern angefertigt; sie reichen bis in eine nachbuddhistische Periode [fn35]. Die Reiterdarstellungen aus der Station Chilas IV etwa zeigen teilweise stark vereinfachte Figuren in der Art von Strichmännchen (Abb. 11-14); in einzelnen Fällen sind die Körper von Pferd und Reiter flächig ausgefüllt und nicht völlig auf einen Strich reduziert. Teile der Leiber von Reiter oder Pferd können auch in kleine Kästchen geteilt sein, um die Fläche zu gliedern (Abb. 11, 12). Die Darstellung der Pferde in diesen beiden Zeichnungen ist auffällig stilisiert: Eine vom Kopf über den Hals nach unten verlaufende Linie stellt gleichzeitig das linke Bein dar. Ähnlich verhält es sich mit dem rechten Vorderbein, und auch die Hinterbeine können aus solchen Linien gebildet werden, die andererseits den Umriß des Rumpfes erzeugen; leichte Verdickungen markieren die Hufe der Pferde. Beide Reiter tragen vermutlich ein Schwert in den Händen. Solche Berittene nähern sich manchmal in recht aggressiver Haltung einem Bauwerk (Abb. 13) oder scheinen mit dem Schwert in der Hand darüber hinwegzusetzen (Abb. 14). Diese Bauwerke haben nun vielfach überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit einem Stupa; sie zeigen etwa einen Dreiecksgiebel über einem mehrgeschossigen Unterbau, scheinen in einer Art Fachwerk errichtet zu sein [fn36] und sind vielfach von Trisula und wehenden Fähnchen bekrönt. In ihrem Zusammenhang findet man oft auch Darstellungen der »Vase des Überflusses« oder Zeichnungen von Adoranten, die sich, Blumen in den Händen, tief vor den Bauwerken verneigen.

Während solchermaßen stilisierte Zeichnungen von Reitern (zumeist von der Station Chilas IV) nicht über älteren Darstellungen angebracht wurden, sind jene Reitergestalten, die wie in Abbildung 15 die Streitaxt und einen Bogen oder auch runde Schilde in Händen halten, oft sehr aggressiv über ältere Zeichnungen und Inschriften gesetzt. So hat man unseren Reiter aus Chilas II absichtlich in der Mitte einer Anzahl von Zeichnungen ungefähr des l. Jhs. n. Chr. plaziert, so daß er eine ganze Reihe von älteren Bildern überschneidet. Offensichtlich sollte hier ein neuer politischer und vielleicht auch religiöser Anspruch dokumentiert werden – und zwar dadurch, daß frühere Bilder zerstört oder doch zumindest in Teilen unkenntlich gemacht wurden. Der Reiter in Abbildung 15 scheint auf dem Pferderücken zu stehen; da aber seine Füße unter dem Leib des Tieres zu sehen sind, könnte man sich vorstellen, daß er sich in den Steigbügeln aufgestellt hat – dies wäre ein erster Beleg für das Vorkommen des Steigbügels im Raum Chilas. Die Axt, die er in der rechten Hand hält, entspricht in der Form des Blattes und der Tülle jenen Äxten, die Biddulph in Nordpakistan gesehen und abgebildet hat [fn37] und die zum Teil heute noch, etwa im Hochzeitsritual in Hunza, verwendet werden [fn38].

Der Reiter in Abbildung 16 ist sitzend auf dem Rücken seines Pferdes wiedergegeben; die Darstellung ist recht unbeholfen ausgeführt. Er hat einen Schild in der rechten Hand, der hier, im Gegensatz zu anderen Felszeichnungen mit meist runden Schilden [fn39], eine rechteckige Form hat, in der linken hält er eine Fahne an langer Stange; seine Beine sind wie in der vorigen Abbildung unter dem Leib des Pferdes zu erkennen. Pferd und Reiter sind gleichmäßig ausgepunzt, Einzelheiten nicht angegeben.

Nur ein Teil der bisher gefundenen Felszeichnungen am Indus gibt Pferde und Reiter wieder. Daneben finden viele andere kultur- und religionsgeschichtliche Themen Darstellung, so z. B. Menschen und Tiere aus vorbuddhistischen Perioden [fn40], wichtige Ereignisse aus dem Leben des Buddha [fn41], mehrere Jatakas [fn42], eine ganze Reihe von Bodhisattvas, deren Namen in den Inschriften genannt werden [fn43], unterschiedliche Formen von Kultbauten, Embleme und Symbole nativistischer Religionen. Die große Zahl von Pferde- und Reiterdarstellungen macht aber sichtbar, welch hohe Bedeutung diesem Tier und dieser Art der Fortbewegung im schwierigen Gelände der Nordgebiete Pakistans bis vor kurzem noch beigemessen wurde. Erst mit der Erschließung der Bergwelt Nordpakistans für den motorisierten Verkehr hat das Pferd zunehmend an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung verloren; in den verkehrsmäßig erschlossenen Gebieten wird es jetzt nur mehr als Statussymbol und für das beliebte Polospiel geschätzt. Folgerichtig ersetzen Kritzeleien von Autofahrern, die das Kennzeichen ihres Vehikels verewigen, heute die traditionellen Pferdedarstellungen.


(Mehr zu Felsbildern und Inschriften in Nordpakistan )

ANMERKUNGEN

[*] Die Dokumentation der Petroglyphen am Indus wurde von 1979 bis 1983 in großzügiger Weise gefördert [Einschub 1997: zunächst 1980-81 vom Deutschen Archäologischen Institut, das mir hierzu ein Stipendium gewährte, dann] von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Stiftung Volkswagenwerk. Seit neuestem hat sich die Heidelberger Akademie der Wissenschaften der Förderung des Projektes angenommen.

[1] Ghulam Mohammad: »Festivals and Folklore of Gilgit«. In: Memoirs of the Asiatic Society of Bengal I,7, 1905-07 (Repr. Islamabad 1980).

[2] Stein, A.: »Archaeological notes from the Hindukush region,«. In: JRAS 1944, 5-24.

[3] King, C.: »Rock drawings on the Indus.«. In: Man 40, 1940, 65-68.

[4] Vgl. Jettmar, K.: »Felsbilder und Inschriften am Karakorum Highway«,. In: Central Asiatic Journal 24, 1980, 185-221, bes. 195 und Abb. l; King, a. a.0. (s. o. Anm. 3), Abb. 3, 9.

[5] Zu Geschichte und allgemeiner Bedeutung des Pferdes in den Gebirgsgegenden Nordpakistans und Zentralasiens vgl. u. a. Fischer, K.: »Zu erzählenden Gandhara-Reliefs ...« 1980, 278 mit Anm. 235-240; ders.: »Central Asian horsemanship ...« 1982, 31-39; Jettmar, 193, 211, 218, 241 f., 250, 295, 411, 430, 437; ders.: »Indus-Kohistan. Entwurf einer historischen Ethnologie«. In: Anthropos 78, 1983, 515f.; Müller-Stellrecht 1979, 87, 123; Stacul, G.: Painted »horses« from the Swat Valley (Middle of 2nd mill. B.C.). In: Ethnologie und Geschichte, 602-605.

[6] Vgl. Beal, 160.

[7] Vgl. Jettmar, K.: Indus-Kohistan, a.a.0. (s. o. Anm. 5), 516.

[8] Jettmar, K.: »Das Gästebuch der chinesischen Seidenstraße. Felsbilder und Inschriften als Quelle der Geschichte«. In: Forschung. Mitteilungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1980, H. 2, 6-9; ders.: a.a.0. (s. o. Anm. 4), 206 ff., Tafel 3, Abb. 6, 7; ders.: »Rock-carvings and inscriptions in the northern areas of Pakistan«. Islamabad 1982, Tafel 10, 1.

[9] Vgl. hierzu auch Jettmar, a.a.0. (s. o. Anm. 4), Abb. 7.

[10] Prof. Jettmar hat mich freundlicherweise darauf aufmerksam gemacht, daß diese Form der Betonung und Hervorhebung von Tieren auch in Felszeichnungen der Kyzylkum gefunden wurde; vgl. Os'kin, Abb. 12-18.

[11] Vgl. Dani, 116 und Nr. 89; Jettmar, a.a.0. (s. o. Anm. 4), 203f. – Ein nicht klar umrissenes Tier inmitten der Gruppe habe ich in der Umzeichnung weggelassen, da nicht sicher ist, ob es tatsächlich in diese Szene hineingehört und nicht etwa später hinzugefügt worden ist.

[12] Thewalt, V.: »Some stupa-types as depicted in the rock-carvings from the area of Chilas«. In: lnternational Conference.

[13] Vgl. Dani, 118 ff. und Nr. 94; Jettmar, a.a.0. (s. o. Anm. 8), Titelbild.

[14] Diese Giebelform ist in einem Fall aus Taxila belegt und findet sich häufig sonst nur in Butkara I; vgl. Thewalt 1982, 194 ff.

[15] Vgl. Jettmar, K.: »;Buddhismus und Volksreligion«. In: unispiegel, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1982/2, 13.

[16] Vgl. Dani, 118 und Nr. 93.

[17] Vgl. Dani, 238 und Nr. 194; Jettmar, K.: »Felsbilder am Indus. Die nachbuddhistische Periode« (im Druck).

[18] Vgl. Erdmann, Tafel 60, 63, 64; Porada, Abb. auf S. 219.

[19] Vgl. Belenizki, Tafel 22-26, 28, 29, 31, 34, 41; Azarpay, Abb. 43, 44, Tafel 4, 7-10, l4, 26; Raspopova, Abb. 50. l, 69. l-4, 70, 71 .

[20] Vgl. Pal, S. 5, S. 8, S. 44.

[21] Auch auf den sasanidischen Schalen finden sich keine Steigbügel, während sie in den sogdischen Wandmalereien ganz deutlich abgebildet sind.

[22] In Alchi sind die Mähnen in völlig anderer Manier als (geflochtene?) Löckchen wiedergegeben.

[23] Neben dieser Pferdezeichnung sind auch eine große Anzahl von Stupas und Inschriften sowohl in Thalpan Bridge als auch in Chilas I am gegenüberliegenden Indus-Ufer in ähnlicher Feinheit mit dem Metallmeißel ausgeführt. Die Aksaras der Inschriften sind dann zumeist nur 1,5-2 cm hoch.

[24] Fischer, K.: »The transportation of the Buddha's relics ...« 1983; ders.: »Eine Reitergruppe in Vorderansicht ...« 1984, Anm. 20. Vgl. auch ähnliche Darstellungen aus sasanidischer Zeit in Naq's-i Rustam und Bisapur bei Erdmann, Tafel 20-24.

[25] Stacul, a. a.0. (s. o. Anm. 5).

[26] Vgl. Dani, 238 und Nr. 195.

[27] Biddulph, 15.

[28] Jettmar, 211; ders.: a.a.0. (s. o. Anm. 4), 205; ders.: a. a.0. (s. o. Anm. 17).

[29] Jettmar, 411, berichtet von einem weiteren Beispiel, dem Gott Balumain. Ich habe Herrn Prof. Jettmar zu danken für den Hinweis auf weitere Darstellungen von reiterlosen Pferden auf Münzen aus Choresmien, bei denen ähnliche religiöse Vorstellungen sicher eine Rolle gespielt haben; vgl. Vajnberg, XXX. Die Pferde sind dort in sehr ähnlicher Haltung abgebildet und zeigen auch das oben bei Abb. 3 erwähnte Mal in Form einer Schleife, eines Punktes oder einer Blüte über dem Nacken oder auf dem Rücken.

[30] Vgl. Jettmar, a. a.0. (s. o. Anm. 17).

[31] Fischer, K.: »Zu erzählenden Gandhara-Reliefs ...« 1980, 289 mit Anm. 310, 31 1.

[32] Vgl. Fischer, K.: »Darstellungen vom Tode ...« 1978, Abb. 8; ders.: »Zu erzählenden Gandhara-Reliefs ...« 1980, 288; Goloubew, V.: »Le cheval Balaha«. In: BEFEO 27, 1927, 223-237.

[33] Vgl. Andrews, Tafel VII.

[34] Williams, J.: »The iconography of Khotanese painting«. In: EW 23, 1973, 1 l7 ff., Abb. 1-2 bezeichnet diesen Bodhisattva als Vairocana. Zwar findet sich unter den vielen Inschriften von Thalpan auch zweimal der Name Vairocana (vgl. Dani, 238), die räumliche Entfernung dieser Inschriften zu den Pferdedarstellungen ist jedoch so groß, daß wohl kaum an eine Verbindung gedacht werden kann.

[35] Vgl. Jettmar, a.a.0. (s. o. Anm. 17).

[36] Bruchsteinmauerwerk wird auch heute noch, wo nicht in Beton gebaut wird, von Balkenlagen verstärkt; dies soll bei Erdbeben größere Sicherheit geben als eine reine Bruchsteinbauweise.

[37] Biddulph, Tafel bei S. 91.

[38] Zur Bedeutung und Verbreitung der Äxte vgl. Jettmar, a. a.0. (s. o. Anm. l7).

[39] Ebd.

[40] Vgl. Jettmar, K.: »Petroglyphs and early history of the upper Indus valley: the 1981 expedition. A preliminary report. In: ZAS 16, 1982.

[41] Vgl. Jettmar, K.: »Felsbilder im Karakorum«. In: Spektrum der Wissenschaft 1983/12, 22-32.
[Einschub 1997: Einen bizarren Kontrast zu diesem Aufsatz Jettmars bildet der Artikel »Die Bilderrätsel des Karakorum« von Dr. Waltraud Sperlich in „bild der wissenschaft“ Nr. 5, Mai 1995, S. 73-80, 12 Jahre später ...]

[42] Vgl. Thewalt, V.: »Jataka-Darstellungen bei Chilas und Shatial am Indus«. In: Ethnologie und Geschichte, 622-635.

[43] Vgl. Jettmar, K.: »Neuentdeckte Felsbilder und -inschriften in den Nordgebieten Pakistans. Ein Vorbericht«. In: BAVA 2, 1980, 151-189, hier bes. Tafel 2-4.


Literatur

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Wall paintings from ancient shrines in Central Asia. London 1948.
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ZAS
Zentralasiatische Studien des Seminars für Sprach- und Kulturwissenschaften Zentralasiens der Universität Bonn.

(Mehr zu Felsbildern und Inschriften in Nordpakistan )
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Updated: 02.04.2001